Klettertabenteuer

Schreibimpulse aus luftigen Höhen

30. August 2020

Robert Karpfen Klettersteig

Es gibt so manches im Leben, das man erleben, spüren und in seiner Gesamtheit erfahren muss. Erst dann weiß man darüber Bescheid. So etwas ist die Kletterei. Die Kletterei auf Klettersteigen. Die Route auf dem Steig ist durch das fest im Fels verankerte Drahtseil vorgegeben. Die Sicherheit gewährleisten, neben der Kraft in den Beinen, das Klettersteigset mit den zwei Karabinern. Eingehakt in das Drahtseil verbindet sie ein flexibles Band mit dem Klettergurt, den die kletternden Person, heute bin ich es, anlegt. Helm, Handschuhe, Klettergurt, geeignetes Schuhwerk – check. Mit dem ersten Schritt in den Fels beginnt das Abenteuer.

Nabelschnur und Urvertrauen

Etwas speckig ist der Fels am Einstieg in den ersten Abschnitt, der mit dem Buchstaben C gekennzeichnet ist. Die Abstufungen, die deutlich machen, wie herausfordernd der Klettersteig ist, beginnen bei A. Ab E ist der Fels schon überhängend. Also, rauf geht es heute bei C und dann weiter bei A/B. Ich bin nicht alleine. Erfahrene Gipfelstürmer*innen flankieren mich. So steige ich, eingebettet wie in einem Kokon, zwischen den beiden den Felsen entlang nach oben in schwindelnde Höhen. Es fühlt sich großartig an. Ein Seilabschnitt geht in den nächsten über. Ich hake mich stets aufs Neue aus und ein. Zuerst mit dem einen, dann mit dem anderen Karabiner. Wie eine Nabelschnur verbindet mich das Band zwischen Karabinern und Klettergurt mit dem Drahtseil. Urvertrauen und die feste Überzeugung „Ich schaffe es bis zum Ausstieg“ begleiten mich.

Grenzen und Sicherheiten

Ich denke mir,  so ähnlich muss es auch im Mutterleib gewesen sein: geborgen im Uterus und lebensversichert durch die Nabelschnur. Doch dort gab es spürbare physische Grenzen. An dieser Stelle wird der entscheidende Unterschied zwischen der Welt im Leib der Mutter und der Kletterwelt außerhalb deutlich. Wenn ich mich nun zu weit vom Drahtseil entferne, die dehnbare Kletternabelschnur an ihre Grenzen stößt und reißt, dann stürze ich ab. Weit. Zum Glück haben die Erfinder*innen von Klettersteigsets an so etwas gedacht und eine zusätzliche lange Sicherheitsnabelschnur eingebaut. Den Bandfalldämpfer. Ein Band in einem kleinen Zusatzpackerl, das im Notfall aufreißt und mich Meter für Meter im freien Fall abbremst. Ich würde dann auf Raten abstürzen. Doch soweit soll es ja doch nicht kommen. Ist es auch nicht. Mein Urvertrauen und meine Überzeugung sind Triebkräfte, die mich stärken. Nicht nur.

Glücksmomente und Zukunftsträume

Fürsorglich, motivierend und behutsam führen mich die beiden Lehrmeister*innen Tritt für Tritt immer weiter. Über eine Hängeleiter, die eine Kluft überbrückt und über ausgesetzte Abschnitte mit atemberaubenden Ausblicken gelangen wir immer höher, bis dann plötzlich das Seil aus ist. Das Ende des Felsens ist erreicht. Glückseelig, durchströmt von Endorphinen und Adrenalinen, im Kopf singend die Serafinen, hake ich die Karabiner aus. Damit trenne ich die lebenserhaltende Verbindung. Neu geboren steige ich wie verwandelt aus meiner Kokon-Position und aus dem Klettergurt.
An diesem Tag küsste mich die Muse der Felsen und vereinnahmten mich die Stimmen der Bergsirenen. Auf eine neue Art werde ich nun die Welt entdecken.

Ich nehme dich in meinen Blogbeiträgen gerne auf die folgenden Kletterabenteuer mit! Ernten wir gemeinsam die nächsten Schreibimpulse!

17. September 2020

Franz Scheikl Steig

Warum es ein waghalsiges Unternehmen wurde, erzähle ich dir hier.
Als unerfahrene Klettersteigkletterin vertraue ich ganz meinen Kletterpartner*innen. Zumindet was die Planung und Durchführung der Klettertour betrifft. Wie wird das Wetter, wer hat wann Zeit, wie kommen wir dorthin, wer holt wen von wo ab – alles dreht sich heute um mein erstes ganztägiges Klettererlebnis morgen.

Plan A, B oder doch C?

Die Wettervorhersage für den Donnerstag ist durchwachsen. Der Tag ist jedoch aus anderen, trivialen, Gründen perfekt. Alle haben Zeit. Was spricht dann gegen Plan A? Viel besser jedoch soll das Wetter am Freitag werden. Übermorgen ist aber ungünstig, weil Termine anstehen. Schließlich muss ja auch Geld reinkommen, denn eine Kletterausrüstung finanziert sich nicht von selbst und noch habe ich keine Sponsoren oder Werbeverträge an Land ziehen können. Mit der Idee, alles zugungsten der Kletterei zu verschieben, kommt Blan B ins Spiel. Das Verschub-Vorhaben würde sich ohne Ärger einiger Betroffenen nicht in die Tat umsetzen lassen. Dann vielleicht Plan C. Kein Klettererlebnis in dieser Woche. Am heutigen Mittwoch abend fällt die Entscheidung. Meine Klettergurus favorisieren Plan A. Wir ziehen das Vorhaben, den Hochlantsch zu erkettern, durch.

Fakt oder Fake

Beim Zustieg zum Steig kommen uns im Wald zwei Männer entgegen. Sie berichten, außerhalb des wettergeschützten Dickichts, am Einstieg des Klettersteigs, regne es in Strömen. Ich spüre ein paar zarte Regentropfen auf meinem Gesicht. Mir wird etwas mulmig. Meine Gedanken drehen sich um Regen, der vielleicht zum Berggewitter mutiert, Blitze, Donnergrollen, rutschige Felsen und um einen Bericht in den steirischen Nachrichten, über drei Wahnsinnige, die nach stundenlangem Ausharren von der Bergrettung unter schwierigen Umständen geborgen werden konnten. Doch wer kann den rufenden Bergsirenen widerstehen? Eben. Wir gehen weiter. Ich vertraue dem einheimischen Kollegen und meiner Freundin. Wir verlassen den dichten Wald und stehen nun am Fuße des Klettersteigs. Es ist windig, der Himmel bedeckt, aber Regen in Strömen? Nein, davon fehlt jede Spur. Kletterausrüstung anlegen, Partner*innencheck und ich hake meine Karabiner nach meiner Freundin in das Drahtseil ein. Es geht los.

„Steirischer Jockl“

Mit sicheren Tritten geht meine Freundin voran. Der Kollege gibt mir von hinten Anweisungen. Er ist geduldig, ich mache Fehler. Er gibt mir Anweisungen, ich setze sie um. Er ist ein weiser Lehrer, ich eine wissbegierige Schülerin. Wir sind zügig unterwegs, während sich Regentropfen als Kletterbegleiterinnen zu uns gesellen. Der Wind weht kräftig und hält so den Felsen trocken. Der weise Lehrer macht Tempo, denn das Wetter in den Bergen ist unberechenbar. Aufgeputscht von Glücksgefühlen, beeindruckt von den Ausblicken ins Tal, und mit Urvertrauen gesättigt, klettere ich meiner Freundin hinterher. Stets hungrig nach dem nächsten Abschnitt setze ich einen Tritt nach dem anderen den Felsen entlang. Sicher geleitet durch meine beiden Kletterkolleg*innen erreiche ich die Ausstiegsstelle. Ich hake meine Karabiner aus und blicke in die Weite – ich könnte die Welt umarmen. Nachdem wir nur zu dritt oben am Gipfel stehen müssen zwei Personen reichen. Ich spüre wieder dieses unbeschreibliche Gefühl, das von innen beginnend, meinen gesamten Körper bis in die Haarspitzen mit Glück und Zufriedenheit durchflutet. Im Rausch der Freude erreichen wir beim Abstieg den „Steirischen Jockl“. Auf der Terrasse der Berghütte reißt die Nebeldecke auf und zur Belohnung gibt es wärmende Sonnenstrahlen, einen atemberaubenden Rundumblick auf die pitoreske Landschaft  – und ein Birnenschnapserl vom Kollegen. Er ist zufrieden und erleichtert, denn, so gesteht er, ein bissl Bammel hatte er zwischendurch wohl vor den ungewissen Wetterverhälnissen heute.

Und ich, ich höre sie schon wieder ganz leise rufen, die Bergsirenen. Noch kann ich sie nicht orten, doch eines ist gewiss, ich werde ihrer Stimme folgen, die mich zum nächsten Felsen führt. Hörst auch du sie? Komm mit, mit mir.